Die Schönheit des Ichs

Wenn es um das spätere Tätigkeitsfeld de:r Apotheker:in geht, ist die erste Idee wohl immer noch die Apotheke. Dabei sind die möglichen Einsatzorte so vielfältig-Krankenhaus, Bundeswehr, Arzneimittelinformationsstellen,….Ganz gleich in welcher Position, das Berufsleben hält viele Herausforderungen bereit, die sich nicht zwingend mit Fachwissen lösen lassen. Auf einmal werden soziale Kompetenzen gefordert, die im Studium mit keiner Silbe erwähnt werden. Stellt sich dieFrage, welche Soft Skills lassen sich sinnvoller Weise schon im Studium trainieren und wie am besten?

Ich springe mal mehrere Jahre zurück zu der Zeit, in der ich ganz am Anfang meines Berufslebens stand und direkt mit meiner Approbation eine Stellung als Filialleiterin angeboten und angenommen habe. Dazu gekommen bin ich wie die Jungfrau zum Kind. Der Inhaber suchte für seine Filialleiterin eine Elternzeit-Vertretung und ich höre mich noch sagen: „Ich kann die Leitung übernehmen, wenn Sie niemand anderen finden.“ Er lächelte und seine Antwort lautete: „Dann suche ich einfach nicht weiter.“ Grundsätzlich war es schon mein Plan eine Filialleiterstelle zu übernehmen, aber mit vier oder fünf Jahren Berufserfahrung. Es kann sehr schnell passieren, dass die Vorbereitung von Mitarbeitergesprächen einen mehr beschäftigt, als die Wechselwirkungen von Clozapin und Metamizol. Aber wo wir gerade bei Agranulozytose sind. Soziale Kompetenzen als Soft Skills zu bezeichnen oder als weiche Faktoren ist ziemlich irreführend. Wie die Granulozyten im Blut sind die sozialen Kompetenzen, die wir mitbringen, das, was uns selbst und damit nachher auch das Team, in dem wir arbeiten, wehrhaft macht. John Strelecky lässt in seinem Buch „The Big Five for Live. Was wirklich zählt im Leben“ den Ich-Erzähler Joe ein Statement dazu abgeben: „All die harten Profite haben mit Sozialkompetenzen zu tun. Und dabei handelt es sich definitiv nicht um weiche Faktoren. Das werde ich Ihnen beweisen“. Dieses Buch ist lesenswert, wenn es um die Orientierung geht, was einem selbst wirklich wichtig ist. Wir beginnen über unsere „Big Five“ nachzudenken, die fünf Dinge im Leben die wir sein oder erreichen möchten. Zudem kann ich die Aussage, wie wichtig soziale Kompetenzen sind, nur unterstützen. Besonders bei dem derzeitigen Personalmangel zeigt sich in Apotheken, wie essenziell diese „weichen Faktoren“ sind. Die Bewerbungen landen bei den Apotheken, die es schaffen, dass die Mitarbeiter:innen sich entwickeln und ungestört einer Tätigkeit nachgehen können, die sie erfüllt. Ungestört heißt dabei nicht, dass das Arbeitspensum gering wäre, sondern, dass es keine Störungen durch schlechte Arbeitsbedingungen gibt. Es sind Unternehmen, in denen die Mitarbeiter:innen nicht für die Apotheke, sondern mit de:r Inhaber:in und dem Team für den Unternehmenserfolg arbeiten und ihre eigenen Ziele. In dieser Definition gibt es einen großen Unterschied zwischen Mit-Arbeiter und Angestellten.

Zurück zum Rückblick

Als ich mich dann plötzlich in eine neue Rolle einfinden musste, hatte ich die Möglichkeit an einem Mentoring-Projekt teilzunehmen. Junge Führungskräfte aus unterschiedlichen Branchen wurde ein Jahr von erfahrenen Führungskräften in ihrer neuen Rolle unterstützt. Zusätzlich wurden viele Seminare zu unterschiedlichen Themen angeboten, um die Weiterentwicklung zu fördern. Diese Zeit war Gold wert. Die Mischung unterschiedlicher Berufe erweckte im ersten Moment den Eindruck, dass auch die Soft Skills ganz unterschiedlicher Natur sein müssten. Was auffiel war allerdings, dass die Themen, trotz der sehr gemischten Gruppe, sehr ähnlich waren, dazu gehörten:

Wie kläre ich Erwartungen?

Was will ich überhaupt?

Wie lässt sich Kommunikation günstig gestalten?

Wie lassen sich Konflikte verhindern oder lösen?

Wie werde ich gelassener?

Um diese Themen kreisten auch in den folgenden Jahren die Diskussionen in dem branchenübergreifenden Unternehmerinnen-Netzwerk, in dem ich Mitglied bin und beim Austausch in den Qualitätszirkeln für Filialleiter:innen der Apothekerkammer Westfalen-Lippe.

Häufig wird bei diesen Gesprächen der Wunsch geäußert, dass die anderen sich doch ändern sollen oder sich anders verhalten müssten. Bis die Erkenntnis kommt, dass das zwar ein schöner Wunsch ist, aber der einzige Mensch, auf den wir wirklich einen Einfluss haben, wir selbst sind. Wenn es also um die Entwicklung von Kompetenzen geht, sollte am besten die eigene Persönlichkeit weiterentwickelt werden. Es geht um uns selbst, unser Inneres, die eigene Reflexionsfähigkeit und die Möglichkeit achtsam für sich und andere zu sein. Das ist ein anderes Vorgehen, als mühsam auswendig zu lernen, wann welches Verhalten an den Tag gelegt werden muss. Wenn ich mich selbst kenne und weiß, was ich möchte und wo ich hinwill. Wenn ich gelernt habe, mich selbst nicht ständig zurückzunehmen, sondern auf meine Bedürfnisse und Gefühle achtzugeben, dann ist schon viel erreicht. Denn viele Konflikte treten dadurch auf, dass die eigenen Grenzen und Bedürfnisse nicht klar sind und dann von anderen missachtet werden.

Zu mir kommen

Zu einem nicht unerheblichen Teil geht es also um die Erweiterung und Vertiefung der eigenen emotionale Intelligenz. Emotionalen Intelligenz umfasst im Kern drei Bereiche:

Selbstwahrnehmung

Kann ich meine Gefühle wahrnehmen und differenziert wiedergeben? Und kann ich die Emotionen im gleichen Moment beschreiben, wie ich sie erlebe? Kenne und verstehe ich den Grund für meine Gefühle? Erst wenn wir uns drüber klar werden, wie wir selbst ticken, können wir auch einen Einfluss auf unser Auftreten nach außen nehmen.Wer hier direkt ins Thema einsteigen möchte: Wenn unsere ICH-Grenze- dazu gehören unsere Ehre, Werte, Gefühle und die Selbstachtung- verletzt wird, verspüren wir oft Wut, Trauer, Schmerz, sind überrascht oder fühlen uns angegriffen. Der Psychiater, Psychotherapeut und Bewusstseinsforscher Dr. Klaus Blaser hat ein Training entwickelt, um die ICH-Grenze zu stärken und gleichzeitig im Kontakt mit anderen zu bleiben. Dafür nutzt er das Bild des „inneren Gartens“. Der „innere Garten“ ist ein Sinnbild für die Teilnehmer:innen des schützenswerten inneren Ichs. Blaser lässt die Teilnehmer:innen ihr Garteninneres durchforsten: Welche Pflanzen stehen hier, die ich gar nicht selbst gesät habe? Kann ich etwas zurückgeben? Wovon darf es mehr sein? Was gehört mal in Form gebracht? Vor allem soll nicht jede:r Außenstehende den Garten mit seinem Frust, seiner Meinung oder seinem Kummer zumüllen. Wer den Eindruck hat, er werde von anderen gelebt oder energetisch ausgesaugt, stellt häufig fest, dass es überhaupt keine Begrenzung gibt oder das Tor immer sperrangelweit offensteht. Mentale bauliche Maßnahmen und die Übersetzung dieser Handlungen in der realen Welt führen zur Bewusstheit der eigenen Grenzen.

Selbstregulierung

Kann ich meine Impulse kontrollieren? Verstehe ich, wie Stress meine Laune und mein Verhalten beeinflusst? Kann ich unter Druck und Stress ruhig bleiben? Bin ich Herr:in meiner Gefühle? Eine Möglichkeit, um seine Selbstregulation zu verfeinern, hat der Psychologen Marshall B. Rosenberg mit der gewaltfreien Kommunikation entwickelt. Rosenberg geht davon aus, dass jede Form der Gewalt (Verlust von Regulation) ein „tragischer Ausdruck unerfüllter Bedürfnisse“ ist, was aggressive Kommunikation miteinschließt. Es braucht die Fähigkeit, seine eigenen Gefühle wahrzunehmen und beschreiben zu können.

Einem empathischen Dialog kann durch vier Schritte der Weg geebnet werden:

  • Beobachtung: Wir beobachten genau, welche Handlung unsere Gefühle negativ beeinflusst.   Auf Interpretationen wird verzichtet.
  • Gefühl: Wir nehmen wahr, wie wir uns in Bezug auf das fühlen, was wir beobachten.
  • Bedürfnis: Wir bestimmen die Ziele, Werte und Wünsche, die hinter unserem Gefühl stecken.
  • Bitte: Mit der Bitte um eine konkrete Handlung geben wir dem Gegenüber die Möglichkeit, unsere Lebensqualität zu verbessern.

Durch die Kombination von Selbstwahrnehmung und Empathie in dieser Methode ergibt sich die Möglichkeit zur gewaltfreien Kommunikation und damit zu reguliertem Verhalten.

Empathie

Versuche ich mich in andere Menschen hineinzuversetzen und zu verstehen, warum sie so handeln? Kann ich anderen interessiert zuhören? Kann ich mit den Gefühlen anderer gut umgehen? Kann ich nachvollziehen, wie Erfahrungen, Gefühle, Gedanken und Verhalten andere Leute beeinflussen? Ist es mir wichtig, die Beweggründe anderer zu verstehen? Wer diese Fragen mit „JA“ beantworten kann, ist im Bereich „Empathie“ schon ganz gut unterwegs. Wer eher ein „NEIN“ im Kopf hat, kann bei den nächsten Gesprächen anhand der Fragen üben. Alles eine Sache des Trainings.

Der eigene Weg

Wer recherchiert, findet unendlich viele Ansätze zur Entwicklung dieser drei Bereiche. Natürlich wäre es toll einen Goldstandard zu haben. Den kann es nicht geben. Bei der Persönlichkeitsentwicklung ist nicht das Ziel, viel Zeit damit zu verbringen, Schwächen auszugleichen, um ein erträgliches Mittelmaß zu erreichen. Das Ziel ist, seine Ressourcen zu aktivieren und die eigenen Stärken feinzuschleifen bis sie dieses unfassbare Leuchten entwickeln, wie wir es von Diamanten kennen. Da wir alle unsere eigene Persönlichkeit haben, braucht jede Persönlichkeit ihren eigenen Weg, sich zu entwickeln. Das hört sich erstmal sehr aufwendig an. Im Endeffekt wählen wir allerdings immer wieder Herausforderungen, die uns weiterbringen oder das Leben stellt uns vor Aufgaben, die wir zu bewältigen haben. Jedes Erlebnis hat das Potenzial, die Persönlichkeit weiterzuentwickeln. Ob dieses Potenzial genutzt wird, steht und fällt mit den Fragen, die wir uns stellen oder jemand anders uns stellt. Im Grund genommen ist Persönlichkeitsentwicklung Forschung in Reinkultur.

Anja Keck

ist Master-Coach (DGfC), Fachapothekerin für Allgemeinpharmazie. Einer ihrer "Big Five for Life" ist es, Menschen den Weg zur Persönlichkeitsentwicklung ebener zu machen. www.anjakeck.de