Stipendienvergabe reproduziert soziale Ungerechtigkeit
Nicht jeder kann sich ein Pharmaziestudium leisten. Parallel zu Nebenjobs und BAföG bieten einige Stiftungen und Firmen an, Studierende finanziell zu unterstützen oder ihnen Auslandspraktika zu bezahlen. Aber unsere Recherchen zeigen: nicht jeder hat die gleichen Chancen, ein Stipendium zu erhalten. Wer nicht aus einer Akademikerfamilie kommt oder Migrationshintergrund mitbringt, hat oft schlechtere Karten.
Wer Pharmazie studiert, muss sich keine Sorgen um einen künftigen Arbeitsplatz machen, pharmazeutischer Nachwuchs wird dringend gebraucht. Gut also, dass auch die Zahl der Pharmaziestudierenden steigt. Generell wächst die Zahl der Studierenden an deutschen Hochschulen auch außerhalb der Pharmazie. Doch das Hochschulsystem wird oft seinem Anspruch nicht gerecht, unabhängig von sozialer Herkunft und Migrationshistorie jedem einen gleichen Zugang zu bieten.
Der Bildungsbericht 2020 zeigt: Kinder aus Nichtakademikerfamilien studieren seltener als Kinder aus Akademikerfamilien. Zudem zeichnen sich migrationsspezifische Unterschiede ab. Auch der Hochschul-Bildungs-Report der Bildungsinitiative Zukunft bemängelt die soziale Undurchlässigkeit des deutschen Bildungssystems. Er fordert, Schüler aus bildungsfernen Schichten oder mit Migrationshintergrund finanziell zu unterstützen, da häufig das Geld für ein Studium fehlt. Eine Umfrage unter Studienberechtigten zeigt: Die Finanzierung ist ein zentraler Faktor dafür, ob sich jemand für oder gegen ein Studium entscheidet.
BAföG, Nebenjob – oder doch ein Stipendium?
Nach Angaben des Deutschen Studentenwerks erhalten viele Studierende finanzielle Unterstützung durch ihre Eltern, beziehen BAföG (Förderung, die sich aus dem Bundesausbildungsförderungsgesetz ergibt) oder arbeiten neben dem Studium. Weit mehr als die Hälfte der erwerbstätigen Studierenden muss einen eigenen Verdienst leisten, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Doch während eines Vollzeit-Studiums wie der Pharmazie ist ausreichend Zeit für einen Job kaum gegeben.
Eine besonders attraktive Form der Studienfinanzierung stellen Stipendien dar. Anders als beim BAföG muss kein Geld zurückgezahlt werden. In Deutschland gibt es viele Stipendien für Studierende und Promovierende. Am bekanntesten sind die vom BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) unterstützten Begabtenförderungswerke.
Stipendiat:innen werden finanziell und ideell in ihrer akademischen Ausbildung sowie bei Studienaufenthalten an ausländischen Hochschulen, aber auch bei studienbezogenen Praktika und Famulaturen unterstützt. Auch das Deutschlandstipendium, welches zu gleichen Teilen von privaten Förderern und dem BMBF getragen wird, fördert leistungsstarke Studierende. Darüber hinaus können Studierende sich auch bei vielen anderen, kleineren Stiftungen um Förderung bewerben.
Auch in der Pharmazie gibt es spezifische Stipendien. Die Dr. Hilmer Stiftung zur Förderung der Forschung auf pharmazeutischem Gebiet vergibt Promotionsstipendien. Die Engelhorn-Stiftung fördert herausragende wissenschaftliche Nachwuchskräfte mit Postdoc-Stipendien. Bewerber:innen müssen in der Regel ein Studium mit überdurchschnittlichen Ergebnissen absolviert haben und Empfehlungsschreiben von anerkannten Wissenschaftler:innen vorweisen.
Geldgeber für Auslandspraktika
Zudem haben Pharmaziestudierende die Möglichkeit, ein Praktikum im Ausland zu absolvieren, beispielsweise einen Teil des praktischen Jahres. Dabei fallen einige Kosten an, z. B. für An- und Abreise, Visum, Miete oder Versicherungen. Sowohl die IAESTE (International Association for the Exchange of Students for Technical Experience) als auch die EPSA (European Pharmaceutical Students‘ Association) bieten Programme an, die bezahlte Auslandspraktika für Pharmaziestudierende bzw. Absolventen in der Forschung vermitteln.
In der Regel sind Praktika im Ausland nicht vergütet. In diesem Fall kann man sich zur finanziellen Unterstützung um ein Stipendium bewerben. Wer noch immatrikuliert ist, kann beispielsweise Auslands-BAföG beantragen.
Weitere Möglichkeiten zur finanziellen Unterstützung bieten das „Erasmus+“-Stipendium für Praktika im europäischen Ausland sowie das PROMOS-Stipendium (Programm zur Steigerung der Mobilität von deutschen Studierenden) für Praktika im außereuropäischen Ausland. Bewerber:innen müssen immatrikuliert sein. Aber auch wer zum Zeitpunkt der Bewerbung nicht mehr eingeschrieben ist, hat diverse Möglichkeiten.
Die Bayer-Stiftung fördert innovative und internationale Auslandsprojekte. Der DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst) fördert mittels „Jahresstipendium für Studienaufenthalte im Ausland“ Pharmazie-Praktika außerhalb Europas.
Wer als Pharmazeut:in im Praktikum im Krankenhaus tätig ist, kann sich bei der „ADKA-Stiftung zur Förderung der Klinischen Pharmazie” bewerben. Unsere Zusammenstellung zeigt: Die Landschaft der Stipendien ist groß und fördert viele Studierende. Doch können so soziale Ungleichheiten ausgeglichen werden?
Das soziale Profil der Stipendiat:innen
Bedauerlicherweise gleicht die Stipendienvergabe soziale Ungleichheiten nicht aus, sondern reproduziert diese. Nur etwa ein Drittel aller Stipendiat:innen hat einen nichtakademischen Hintergrund. Deutlich seltener als Studierende im Durchschnitt kommen Geförderte aus Nichtakademikerfamilien. Die Initiative für transparente Studienförderung (ItS) stellt in ihrer Stipendienstudie fest: Studierende mit Migrationshintergrund, die ihr Abitur in Deutschland erworben haben, bewerben sich seltener auf Stipendien. Noch dazu erhalten sie seltener ein Stipendium. Wie kommt es dazu?
Die Begabtenförderungswerke sind bei der Stipendienvergabe an Richtlinien des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gebunden. Hinsichtlich der Auswahlkriterien und –verfahren unterscheiden sich die Förderungswerke, was die Pluralität in der Begabtenförderung unterstützen soll. Die Basiskriterien für die allermeisten Stipendien sind in der Regel: Begabung, Persönlichkeit und gesellschaftliches Engagement. In allen Auswahlkriterien spiegelt sich indirekt die soziale Herkunft wider. Schulleistungen sind eng mit der sozialen Herkunft verknüpft. Die Schulleistungsstudie PISA (Programme for International Student Assessment) belegt, dass in Deutschland Noten tendenziell umso besser ausfallen, je höher die Bildung im Elternhaus ist.
Im Ländervergleich der OECD (Organisation for Economic Cooperation and Development) schneidet Deutschland in Sachen Chancengleichheit bei der Bildung regelmäßig schlecht ab. Wenn sich die Aufnahmekriterien auf die Leistung beziehen, ist der Bewerberpool in sozialer Hinsicht bereits vorstrukturiert. Fraglich ist auch, wie weit der Begriff des „sozialen Engagements“ gefasst wird. Nach dem Abitur einen Freiwilligendienst im Ausland zu absolvieren, setzt ökonomisches und kulturelles Kapital in der Familie voraus. So werden vorhandene Ungleichheiten reproduziert und eine „soziale Öffnung“ der Begabtenförderung behindert.
Was ist zu tun?
Die itS empfiehlt, benachteiligte Gruppen zielgerichteter zu informieren und Auswahlkriterien und -verfahren anzupassen. Das würde die Chancengerechtigkeit verbessern. Wichtig ist aber vor allem, dass sich benachteiligte Gruppen organisieren und die bestehenden Verhältnisse aktiv überwinden, denn von allein werden sie nicht einfach verschwinden.
Der Soziologe Andreas Kemper ruft Betroffene dazu auf, für eine bildungspolitische Verbesserung ihrer Situation aktiv zu werden: „Es ändert sich nur dann etwas, wenn sich Benachteiligte zusammenschließen, um demokratisch zu beratschlagen, was getan werden kann“, sagt Kemper gegenüber der UniDAZ-Redaktion. Inzwischen gibt es politische Selbstorganisierungen von Arbeiterkindern bzw. First-Generation-Studierenden.
Andreas Kemper ist Mitbegründer des ersten Referats für finanziell und kulturell benachteiligte Studierende in Münster. Zudem rief er den Verein zum Abbau von Bildungsbarrieren ins Leben. Ein konkretes Projekt des Vereins ist die Herausgabe des Magazins „Dishwasher“, in dem Betroffene selbst zu Wort kommen. Vortragsreihen, die Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft bekämpfen, etablierten sich in Marburg, Köln und München. Die langjährige Arbeit von Menschen wie Andreas Kemper hat bereits zu einer gewissen Trendwende beigetragen.