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Uni: lieber online oder on site?

Das wünschen sich Studierende vom Wintersemester

Es wird diskutiert, geplant, gemunkelt, wie genau das Wintersemester 2021/2022 für die Pharmazeut:innen aussehen wird. Wie geht es den Studierenden mit der Aussicht auf ein Semester, welches mehr Präsenz zu versprechen scheint? Ich habe mich auf die Suche gemacht nach Emotionen, Hoffnungen und Sorgen. Habe mich mit vielen anderen Pharmaziestudierenden unterhalten und unterschiedlichste Meinungen erfahren. Denn wir sollten ein offenes Ohr haben für diejenigen haben, die die Konzepte der Universitäten am eigenen Leib erfahren.

Die Studierenden möchten Präsenzveranstaltungen. Klare Sache, oder?

Nach drei Semestern Pandemie-bedingter Online-Lehre haben sich die meisten Studierenden an diese Form des Studierenden-Daseins gewöhnt. Einige kennen es nicht anders. Außenstehende betonen gerne, wie schädlich die digitale Lehre für die Studienleistung insbesondere jüngerer Semester und für das soziale Miteinander insgesamt sei.

Dies wird zwar auch von den Studierenden selbst bestätigt. Aber wenn man gezielt fragt, ob sie ein Online oder Präsenz-Konzept besser finden, zeichnet sich kein eindeutiges Bild ab. Nur rund 55 Prozent bevorzugen die Präsenz-Uni. Wie kann das sein?

Ist die digitale Lehre doch nicht so schlecht?

Vorlesungen vor dem PC verfolgen zu können, hat Vorteile. Es ist egal wie man aussieht, man kann endlich Chips essen, die sonst zu laut wären und auch bei Krankheit verpasst man nichts mehr. Aber vor allem die aufgezeichneten Vorlesungen haben es den Studierenden angetan. Man kann beliebig oft wiederholen, auf Pause drücken und die Geschwindigkeit einstellen. So wird die Lehre individueller. Jeder kann in seinem eigenen Tempo lernen. Und um restliche Fragen zu klären, steht einem Live-Videocall mit dem Dozenten oder der Dozentin meist nichts im Weg.

Zudem sparen sich Studierende die Zeit für die Fahrt zur Uni. Der Online-Zugang zu Lehrbüchern wurde besser, Hochschüler:innen können Protokolle vermehrt digital abgeben – und somit wirklich erst um 23:59 Uhr fertigstellen. Auch bereicherte an vielen Unis eine Chatfunktion die Kommunikation zwischen Lehrenden und Studierenden.

Der schöne Schein des Digitalen trügt

Dann können wir doch bei der digitalen Lehre bleiben, wenn alle zufrieden sind und die Pandemie noch weiter andauert, oder? Es gibt gute Gründe, warum eine schrittweise Normalisierung an den Universitäten dennoch wichtig ist. Auch aus Sicht der Studierenden.

Die Online-Uni mag bequem sein, aber der Weg in den Hörsaal lohnt sich. Meine Umfragen haben ergeben, dass Hörer:innen ihre Konzentrationsspanne bei einer leibhaftigen Vorlesung subjektiv als länger empfinden. Außerdem brauchen Studierende weniger Zeit, um nachzuarbeiten. Dabei macht sich das Gefühl breit, wirklich etwas aus der Vorlesung mitgenommen zu haben. Laut den Befragten gäbe es weniger Missverständnisse und man gelange leichter an Zusatzinformationen.

Auch die Bereitschaft, aktiv an Seminaren teilzunehmen, ist höher als zu Hause vor dem PC. Auf so manche Frage erhielten die Dozenten online ein langes Schweigen als Antwort. Im Vorlesungssaal hätte sich spätestens jetzt jemand gemeldet, um diese peinliche Stille zu beenden. Online sind Studierende anonymer, fühlen sich nicht verantwortlich und sind im schlimmsten Fall so abgelenkt, dass sie nicht richtig zugehören.

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier

Ausnahmslos jeder, den ich gefragt habe, ob er oder sie Vorteile in der Präsenz sieht, hat ganz klar mit „Ja“ geantwortet. 85 Prozent freuen sich, endlich wieder mehr soziale Kontakte zu haben. Doch warum bevorzugen so viele die digitale Lehre? Einen Grund möchte ich nur vermuten – und nicht als bedingungslos gegeben hinstellen.

Ein Lockdown nach dem anderen war nicht leicht, auch nicht für Pharmaziestudierende. Gegenüber anderen Studierenden gab es jedoch einen großen Vorteil: die Laborpraktika, die an einigen Universitäten zwar verkürzt, aber dennoch im Labor und vor allem miteinander stattgefunden haben. Man hat sich nur alle paar Wochen oder gar Monate gesehen, aber man hat sich gesehen. Daher war die digitale Lehre aushaltbar, wenn nicht sogar komfortabel, aus den oben genannten Gründen.

Steckt man einmal in dieser bequemen Lage, möchte man die Nachteile nicht wahrnehmen. Ich habe meine Umfrage während den Semesterferien gemacht. Und ich werde das Gefühl nicht los, dass während der noch laufenden Vorlesungen ein anderes Ergebnis herausgekommen wäre. Man vergisst schnell wie anstrengend es ist, ständig vor dem PC zu sitzen. Und wie leicht man sich hat ablenken lassen, etwa von Gegenständen, die schon jahrelang im Blickfeld stehen, aber plötzlich interessant wurden.

Ich habe den Eindruck, dass einige Stimmen für die Online-Uni aus der Gewohnheit kamen. Man hat sich darauf eingestellt, dass es funktioniert – bloß keine neuen Variablen in dieses schwere Studium bringen. Aber manche haben auch aus ganz anderen Gründen gegen die Präsenz abgestimmt und diese sind oft emotionaler Natur.

Fazit: Die wahre Gefühlslage

So empfinden viele eine gewisse Unsicherheit dem kommenden Wintersemester gegenüber. Die Organisation der Universitäten wird als eher schlecht wahrgenommen, auch wenn man weiß, dass diese nur versuchen einen gut funktionierenden Kompromiss zu finden. Aber nicht zu wissen, wie man für die nächsten Monate planen kann, verursacht nicht nur eine allgemeine Unsicherheit. Es nährt auch Ängste und Sorgen, die die Studierenden teilweise haben. Leistungsdruck, Zeitnot, soziale Ängste, Heimweh nach so langer Zeit zu Hause und die Versagensangst, dem ungewohnten Pensum nicht gewachsen zu sein.

Viele Studierende, die ich fragte, waren besorgt, dass die Vorlesungen plötzlich zu schnell sind, da man nicht mehr pausieren kann. Besonders die Studienanfänger, die die „normale“ Uni gar nicht kennen, sind von diesen Sorgen geplagt. Es herrscht eine Mischung aus Angst vor dem Unbekannten, aber auch der Vorfreude, sich endlich als richtiger Student bzw. richtige Studentin fühlen zu können. Dieses Semester sind nicht nur die neuen Erstsemester aufgeregt.

Neben den Sorgen steckt glücklicherweise auch Hoffnung in den Studierenden. Endlich neue Freunde an der Universität finden, ein geregelter Tagesablauf, eine bessere Uni-Life-Balance, mit Glück die ein oder andere kleine Laborparty. Viele hoffen, die eigene Leistung zu verbessern.

Die Gefühlslage unter den Studierenden zu verallgemeinern, ist unmöglich. Aber wenn ich eine Tendenz herausfiltern müsste, so würde ich behaupten, dass die Vorfreude überwiegt und einige Sorgen schnell wieder verfliegen, wenn das Wintersemester 2021/2022 erstmal in vollem Gang ist.

Zwei Bitten der Studierenden

Bei meinen Gesprächen mit Pharmaziestudierenden haben sich zwei besondere Wünsche herausgestellt. Meist wurden sie zögerlich formuliert. Aber ich denke, diese Bitten sollten gehört werden.

  1. Die Universitäten sollen zwar möglichst viel Präsenz ermöglichen. Aber nicht um jeden Preis. Die Konzepte sollen nicht nur theoretisch umsetzbar sein, sondern auch sinnvoll.
  2. Die Universitäten sollten unabhängig von der Pandemie ihr Konzept überdenken: Bringt nicht hier und da ein Schritt mehr in Richtung Digitalisierung echte Vorteile mit sich – oder ist vielleicht sogar längst überfällig?

Sophie Müsch, Trier

Sophie Müsch studiert Pharmazie an der Universität des Saarlandes. Um anderen einen besseren Einblick in das Pharmaziestudium zu geben, bloggt sie unter dem Namen @sophie.muesch auf Instagram über ihren Alltag. Außerdem ist sie für den Fachschaftsrat für die Erstsemester und die Social Media-Präsenz zuständig.