Depressionen durch das Pharmaziestudium?

Das Pharmaziestudium gilt in Deutschland als eines der anspruchsvollsten und zeitintensivsten Studienfächer [1, 2]. Eine Gruppe Studierender der Universität Münster hat sich mit der Fragestellung beschäftigt, inwieweit sich das Pharmaziestudium auf die mentale Gesundheit der Studierenden auswirkt. Die Ergebnisse geben Anlass nachzudenken.

Im Projekt Pharmschool (s. Kasten „Das Projekt Pharmschool“) erstellten Studierende zum Thema Depressionen im Pharmaziestudium eine Onlineumfrage, welche auch die Themen des allgemeinen Wohlbefindens, der Motivation, des Auftretens von Panikattacken und der mentalen Gesundheit umfasste. Dazu wurden über einen Zeitraum von 47 Tagen von September bis Oktober 2022 insgesamt 1269 Fragebögen ausgewertet, die sich auf 18 der 21 Pharmaziestandorte in Deutschland verteilen. Ziel war es, deutschlandweit die allgemeine mentale Gesundheit im Pharmaziestudium abzubilden und eine aktuelle Aussage über die Häufigkeit von Symptomen einer Depression unter Pharmaziestudierenden zu treffen. Gemäß der ICD-10-Leitlinie wurden Haupt- und Nebensymptome einer unipolaren Depression wie gedrückte Stimmung, Freudlosigkeit und Schlafstörungen abgefragt.

Das Projekt Pharmschool
An der Universität Münster hat sich im Lauf der vergangenen zehn Jahre das fächerübergreifende Projekt der Pharmschool etabliert:

www.uni-muenster.de/PharmaCampus/studium/pharmschool.
Die fünf Teildisziplinen der Pharmazie – Pharmazeutische Chemie, Pharmazeu­tische Technologie, Pharmazeutische Biologie, Pharmakologie und Klinische Pharmazie – haben dieses Projekt ins Leben gerufen, um die Lehr- und Lern­inhalte des Hauptstudiums intensiver miteinander zu verknüpfen. Die Studierenden des Hauptstudiums erarbeiten innerhalb von vier Semestern zu einem Oberthema wissenschaft­liche Fragestellungen, wodurch das forschende Lernen und das selbstständige Arbeiten gefördert werden. In jedem Semester beginnen neue Projekte. Studierende des siebten Semesters im Fach Pharmakologie setzten sich im Winter­semester 2022/2023 mit dem Thema Depression auseinander.
Abb. 1: Anteil der Pharmaziestudierenden mit Symptomen einer Depression nach einer Onlinebefragung von 1269 Teilnehmenden.
(Grafik: DAZ/Hammelehle)


44% mit möglicher Depression
11% der Teilnehmer gaben an, an einer diagnostizierten Depression zu leiden. Hiervon nehmen 43% eine medikamentöse Therapie in Anspruch, zum Großteil werden dabei Serotonin-Wiederaufnahmehemmer eingesetzt, welche die erste Wahl bei mittelgradiger und schwerer unipolarer Depression sind. Weitere 33% aller Teilnehmenden zeigen eine Symptomatik nach den ICD-10-Kriterien, die der Diagnose einer depressiven Erkrankung entspricht. Daraus ergibt sich ein Gesamtanteil von 44% der Befragten, die möglicherweise an einer Depression leiden
(s. Abb. 1). Die ICD-10-Leitlinie teilt eine Depression in Schweregrade ein. Welcher Schweregrad vorliegt, hängt von der Anzahl von Haupt- und Nebensymptomen (s. Kasten „Haupt- und Nebensymptome
einer Depression) ab, die über mehr als zwei Wochen auftreten. Sie unterscheidet die Grade in eine:

Leichte Depression, wenn zwei Neben- und zwei Hauptsymptome vorliegen.
– Mittelschwere Depression, wenn drei bis vier Neben- und zwei Hauptsymptome vorliegen.
– Schwere Depression, wenn mindestens vier Neben- und drei Hauptsymptome vorliegen.
Nach dieser Einteilung lassen sich die als depressiv eingestuften Studienteilnehmer zu 6% in eine leichte, zu 28% in eine mittelgradige und zu 53% in eine schwere Depression einordnen. Teilnehmende mit drei Hauptsymptomen und weniger als vier Nebensymptomen lassen sich nach dieser Klassifikation nicht eindeutig einem Schweregrad zuordnen und wurden in einer gesonderten Gruppe zusammengefasst.

Mehr Männer oder Frauen betroffen?
Unter den Befragten mit einer ärztlich diagnostizierten Depression waren 12% männlich und 10% weiblich.
Nach der Auswertung gemäß den ICD-10-Kriterien wären 35% der Frauen und 27% der Männer als depressiv einzustufen. Somit liegt die Geschlechterverteilung der ins­gesamt von Symptomen einer Depression betroffenen Teilnehmenden unter den Pharmaziestudierenden bei 39% der Männer und 45% der Frauen.

Depressionen im achten Semester am häufigsten
Die Verteilung der von einer beeinträchtigten Stimmungslage betroffenen Studierenden verändert sich stark in Abhängigkeit vom Semester (s. Abb. 2). Leiden im ersten Semester 31% der Teilnehmenden an einer solchen Symptomatik, so sind es im vierten Semester bereits 49%. Im fünften Semester sinkt der Anteil auf 38% und steigt dann zum achten Semester hin auf einen Maximalwert von 51%. Somit besteht vermutlich ein Zusammenhang zwischen dem vermehrten Auftreten der oben genannten Symptome und dem Bevorstehen der Staats­examensprüfungen jeweils nach dem vierten und achten Semester. Demnach scheinen besonders die pharmazeutischen Prüfungsabschnitte für die Studierenden eine starke Belastung darzustellen. Nahezu 70% der Personen mit einer ärztlich diagnostizierten Depression und 40% der Befragten, die gemäß den ICD-10-Kriterien an einer Depression leiden, gaben an, aufgrund ihrer Erkrankung Schwierigkeiten im Fortführen des Studiums zu haben.

Abb. 2: Anteil von Studierenden nach Semestern, die Symptome aufwiesen, die indikativ für eine Depression sind
(ICD-10 + ärztliche Diagnose). Grafik: DAZ/Hammelehle


Mentale Gesundheit bei mehr als 50% gefährdet

Die Weltgesundheitsorganisation WHO definiert psychische Gesundheit (mental health) als Wohlbefinden, das die Menschen in die Lage versetzt, Belastungen des Lebens zu meistern, die eigenen Fähigkeiten zu erkennen, gut zu lernen und zu arbeiten und einen Beitrag zur Gemeinschaft zu leisten [3]. Nur 18% der Befragten gaben eine geringe oder gar keine Beeinflussung auf das Wohlbefinden an. Mehr als die Hälfte beurteilen die Auswirkungen des Studiums auf ihre mentale Gesundheit als stark oder sehr stark. Bei den Studierenden ohne Symptomatik einer depressiven Erkrankung zeigt sich eine Normal­verteilung mit dem Großteil von 37% im Bereich der mittleren Beeinflussung der mentalen Gesundheit durch das Studium. Dagegen gaben die Befragten mit ärztlicher Diagnose und die nach ICD-10 eingestuften Depressiven zu 76% eine starke oder sehr starke Beeinflussung an.

Die Teilnehmenden wurden auch nach dem Auftreten von Panikattacken gefragt. Dabei gab ein Viertel der Befragten an, mehr als einmal pro Woche unter einer Panikattacke zu leiden. Frauen litten doppelt so häufig an Panikattacken wie Männer. Etwa 6% gaben an, sich einmal in der Woche selbst zu verletzen. Auffällig ist, dass drei Viertel derjenigen, die nach ICD-10 den Kriterien für eine Depression entsprechen, angaben, dass die Beschwerden erst ab Studienbeginn auftraten. Der hohe Anteil liefert einen Anhaltspunkt für die starke Beeinflussung der mentalen Gesundheit durch das Studium. Unter den Befragten mit einer ärztlichen Diagnose hatte jeder Zweite die Beschwerden allerdings schon vorher.

Limitationen und Fazit
Rund 16 bis 20% der Deutschen erkranken in ihrem Leben mindestens einmal an einer Depression oder einer chronisch depressiven Verstimmung. Die im Rahmen des Projekts erhobenen Daten deuten darauf hin, dass dieser Anteil unter Pharmaziestudierenden deutlich höher zu sein scheint [4]. Die Erhebung ist eine Momentaufnahme und bildet Zeitverläufe nur indirekt und nicht hinsichtlich der Entwicklung der einzelnen Individuen ab. Es ist auch anzunehmen, dass sich durch die Fragestellung mehr Studierende mit Problemen im Studienalltag angesprochen fühlten als ohne. Dass diese eher an der Studie teilnahmen, ist wahrscheinlich, sodass vermutlich mit einer gewissen Verzerrung der Daten zu rechnen ist. Trotz dieser Limitationen der Umfrage geben die ermittelten Daten Anlass zum Nachdenken und sollten für das Thema psychische Gesundheit in Studiengängen mit hohen Leistungsanforderungen sensibilisieren. Möglicherweise ist der hohe zeitliche Aufwand des Pharmaziestudiums nicht nur belastend, sondern darüber hinaus auch ein Hemmnis, universitäre oder externe Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen.

Haupt- und Nebensymptome einer Depression

Hauptsymptome:
– gedrückte depressive Stimmung
– Interessenverlust
– Freudlosigkeit
– Antriebsmangel
– erhöhte Ermüdbarkeit

Nebensymptome:
– verminderte Konzentration und
– Aufmerksamkeit
– vermindertes Selbstwertgefühl und -vertrauen
– Schuldgefühle
– Wertlosigkeit
– Hoffnungslosigkeit
– Suizidgedanken und Suizidhand­lungen
– Schlafstörungen
– Appetitstörungen

Literatur
[1] Lernintensität pro Studiengang: Zeitaufwand im Studium: So viel Zeit investieren Studenten in ihr Studium. Artikel in der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12. Mai 2015, www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/zeitaufwand-im-studium-so-viel-zeit-investieren-studenten-in-ihr-studium-13587326.html
[2] Lang C. Umfrage zur psychischen Gesundheit: Stressfaktor Pharmaziestudium. Artikel der Pharmazeutischen Zeitung online vom 26. Mai 2020, www.pharmazeutische-zeitung.de/stressfaktor-pharmaziestudium-117791/
[3] Mental health. Information der WHO, Stand: Juni 2022, www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/mental-health-strengthening-our-response
[4] Depression – Die Volkskrankheit verstehen. Information des Bundesministeriums für Gesundheit, Stand: Mai 2023, www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/gesundheitsgefahren/depression.html

Ann-Kathrin Schlüter

Annika Leibelt

Charlotta Struncius

Julia Schumacher

Kalina Kuncheva

Maite Hoffmann

Sara Nelles