(Foto: Jonathan Newton/The Washington Post/Getty)

Henriettas Zellen leben ewig

HeLa-Zellen sind jedem ein Begriff, der schon einmal in einem zellbiologischen Labor stand. Die Geschichte hinter der Zelllinie ist auch die der jungen Frau Henrietta Lacks. Ohne ihre Einwilligung wurden ihr Gewebeproben entnommen. Lacks erfuhr nie davon – und ihre Familie erst circa 20 Jahre nach ihrem Tod

Henrietta Lacks, eine afroamerikanische Tabak-Bäuerin aus Virginia, starb mit 31 Jahren 1951 an Gebärmutterhalskrebs. Die fünffache Mutter ließ sich im Johns Hopkins Hospital behandeln – einem Krankenhaus, das zur damaligen Zeit dunkelhäutige Menschen kostenlos therapierte. Nur acht Monate nach der Diagnose Zervixkarzinom starb sie. Die Zellen ihres Tumors jedoch sollten ewig weiterleben, denn der behandelnde Arzt hatte ohne ihr Wissen Gewebe entnommen und einem Labor übergeben, in dem an der Etablierung einer immortalen Zelllinie zu Forschungszwecken gearbeitet wurde [1, 2].

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Normalerweise überleben menschlichen Zellen in einer Kultur nur wenige Multiplikationszyklen. Die Tumor­zellen, die man Henrietta Lacks entnommen hatte, waren so stark mutiert, dass sie sich in der Zellkultur weiterhin vermehrten und selbst noch über 70 Jahre nach der Entnahme – bis zum heutigen Tag – in biomedizinischen Versuchen verwendet werden [3].

Abb.1 HeLa-Zellen gefärbt mit rotem Aktin-bindendem Phalloidin-Toxin, Mikrotubuli in Türkis und Zellnuklei in Blau. (Foto: National INstitute for Health, USA)

Nachkommen setzten sich ein

Weder Lacks noch ihre Familie wurden um Erlaubni gefragt, ob Gewebeproben entnommen werden dürften – zu dieser Zeit war das in den USA bei dunkelhäutigen Patienten leider eine relativ weitverbreitete Praxis. Lacks Familie erfuhr erst 1973 von der Zelllinie, diebereits damals in der biomedizinischen Wissenschaft enorm verbreitet war. Einen finanziellen Ausgleich von den Unternehmen, die mit der HeLa-Zelllinie verdient haben (und es immer noch tun), hat die Familie nicht
erhalten [1, 3]. Henrietta Lacks Nachfahren initiierten die Initiative „HeLa-100“. Sie soll unter anderem auf ein „rassistisches medizinisches System“ aufmerksam machen, in dem Zellen ohne Zustimmung entnommen wurden. Außerdem will die Familie weiter für eine Entschädigung bei biopharmazeutischen Firmen eintreten, die die Zellen zu kommerziellen Zwecken nutzen [4].

Vielseitig in der Forschung eingesetzt

Die HeLa-Zelllinie war beispielsweise beteiligt an der Entwicklung von Arzneimitteln gegen Krebs und Parkinson sowie dem ersten Polioimpfstoff. „Es gibt mehr als 17.000 Patente und 60.000 Forschungsergebnisse, die auf HeLa Zellkulturen basieren“, schreibt die US-amerikanische Wissenschaftsjournalistin Rebecca Skloot, die ein Buch zum Schicksal Henrietta Lacks und ihrer unsterblichen Zellen geschrieben hat. Zellbiologische Mechanismen und zellpathologische Vorgänge in Erkrankungen konnten durch Versuche mit HeLa-Zellen entschlüsselt werden [3, 4]. Die Geschichte Henrietta Lacks und ihrer Zellen hat dazu beigetragen, dass heute Gewebeproben nicht mehr ohne Konsens entnommen und zur Forschung verwendet werden. Außerdem werden Patienten heute umfassend aufgeklärt. In den letzten Jahren wurden Henrietta Lacks posthum einige Ehrungen zuteil: Es wurden Gedenktafeln (s. Abb. 2) errichtet, Straßen und Institute nach „der Mutter der modernen Zellbiologie“ benannt. Der Präsident
der Weltgesundheitsorganisation, Tedros Adhanom Ghebreyesus, erklärte, dass Lacks Unrecht angetan wurde. Sie sei „eine von vielen farbigen Frauen, deren Körper von der Wissenschaft missbraucht“ worden sei [4].

Abb. 2: Gedenktafel für Henrietta Lacks in Clover/Virginia, wo sie in einem anonymen Grab liegt. (Foto: EMW/Wikipedia)

Wie erfuhren die Nachkommen von der HeLa-Zelllinie?

1966 stellten Wissenschaftler fest, dass HeLa-Zellen leicht Zellkulturansätze kontaminieren können: Aufgrund der hohen Teilungsrate überwachsen die Zellen schnell andere Zelllinien, wenn Rückstände von HeLa-Zellen die andere Zelllinie verunreinigen. Zur damaligen Zeit war es schwierig, diese Kontamination zu entdecken, da genetische Analysen noch nicht etabliert waren. Als DNA-Untersuchungen möglich wurden, baten Forscher Henrietta Lacks Witwer und deren Kinder, Blutproben abzugeben, damit eine genetische Karte der HeLa-Zelllinie erstellt werden und Kontaminationen gefunden werden könnten. Die Familie erfuhr erst jetzt von der HeLa-Zelllinie. Auf die Bitte um eine Erklärung, warum die Probenahme jetzt nötig sei und was es mit der Zelllinie auf sich habe, wurde der Familie ein Lehrbuch der Zellbiologie überreicht mit dem Hinweis, die Antworten stünden in diesem Buch. Lacks Nachfahren verfügten nicht über medizinisch-biologisches Wissen und konnten dem Fachbuch daher keine Informationen entnehmen. Nähere Informationen bekam die Familie erst von einem Reporter, Michael Gold, der über die HeLa-Zelllinie schrieb [3, 4].

Noble Zellen

Bisher wurden vier Nobelpreise vergeben, bei denen HeLa-Zellen an den Forschungen direkt beteiligt waren: Die Nobelpreise für Physiologie oder Medizin 2004 („für die Erforschung der Riechrezeptoren und der Organisation des olfaktorischen Systems“), 2008 („für die Entdeckung der Auslösung von Gebärmutterhalskrebs durch humane Papillomviren“), 2009 („für die Entdeckung, wie Chromosomen durch Telomere und das Enzym Telomerase geschützt werden“) und 2014 („für die Entwicklung von superauflösender Fluoreszenzmikroskopie“) [3].

Literatur
[1] More so than ever, the eyes of the world are on medical research. BBC, www.bbc.co.uk/bitesize/articles/zv6cydm
[2] Neumann B. Geschichte der Medizin: Die unsterblichen Zellen der Henrietta Lacks. Ärzteblatt 2010, www.aerzteblatt.de/archiv/79517/Geschichte-der-Medizin-Die-
unsterblichen-Zellen-der-Henrietta-Lacks
[3] Keiger D. Immortal Cells, Enduring Issues. Johns Hopkins Magazine 2010, https://magazine.jhu.edu/2010/06/02/immortal-cells-enduring-issues/
[4] Henrietta Lacks: science must right a historical wrong. Nature, The international journal of science, 3. September 2020, d41586-020-02494-z.pdf

Fotos: Jonathan Newton/The Washington Post/Getty; National Institute of Health, USA

Juliane Russ

Juliane Russ hat an der Universität Hohenheim Ernährungswissenschaften studiert. Mit dem Master in der Tasche fing sie im April 2022 ein Volontariat bei der Deutschen Apotheker Zeitung an.