Illustration: Wessinger und Peng
Illustration: Wessinger und Peng

#DerApotheker

Unter diesem Namen findet man mich bei Twitter, Facebook, Instagram und Publikum. Aber man findet mich nicht nur im Internet, sondern genauso in der Apotheke. Dort stehe ich seit einigen Jahren fast jeden Tag im „HV“, dem Handverkauf, und berate meine Kunden. Doch nicht jeder möchte beraten werden. Möglicherweise hat man es gerade eilig. Oder man nimmt sein Arzneimittel schon seit Ewigkeiten ein und denkt, man wüsste alles dazu. Bei Twitter und Co. lese ich oft, dass Menschen genervt sind, wenn wir Apotheker sie immer wieder zu ihren Arzneimitteln beraten wollen. Das kann ich natürlich verstehen. Trotzdem versuche ich stets, ihnen ein bisschen was dazu zu sagen. Wenigstens das Wichtigste.

Mir fällt immer wieder auf, dass viele Patienten trotz langjähriger Einnahme ihrer Arzneimittel deswegen nicht unbedingt alles richtig machen. L-Thyroxin ist ein gutes Beispiel. Die meisten nehmen es seit zig Jahren ein und haben dementsprechend wenig Lust auf eine Beratung.

Erwähne ich trotzdem, dass die Tablette mindestens eine halbe Stunde vor dem Frühstück eingenommen werden sollte und in dieser halben Stunde eben nicht nur nichts gegessen werden darf, sondern auch nichts getrunken werden sollte, kommt hin und wieder die Gegenfrage, ob Kaffee denn auch nicht in Ordnung sei.

Natürlich trinken viele Menschen ihren Kaffee nicht schwarz, sondern mit viel Milch. Und da keiner genau abmisst, wie viel Milch er in den Kaffee schüttet, variiert die Menge an Calciumionen aus der Milch logischerweise jeden Tag. Je mehr Calciumionen auf das L-Thyroxin treffen, desto weniger L-Thyroxin kommt folglich im Blut an, was wiederum erklären könnte, warum der Arzt eine so hohe Dosis verordnet hat. Weil eben nicht alles im Blutkreislauf ankommt. Doch von nun an alles richtig zu machen wäre auch keine gute Idee, denn sonst würde plötzlich zu viel L-Thyroxin ins Blut gelangen.

Deshalb muss die Einnahme auf jeden Fall bis zum nächsten Arzttermin falsch fortgesetzt werden. Der Arzt stellt seinen Patienten dann erneut auf die richtige Dosis ein. Wenn ich Probleme wie diese mit meinen Followern teile, gibt es immer welche, die das bisher genauso falsch gemacht haben wie die Person aus meiner Geschichte und es von nun an besser wissen. Wenn man so etwas in der Apotheke erlebt, weiß man, warum man seinen Job macht und weshalb er wichtig ist. Mich motiviert dieses „Das-hat-mir-noch-nie-jemand-gesagt“-Erlebnis, tagtäglich in der Apotheke zu stehen und meine Kunden bestmöglich zu beraten. Einiges davon teile ich in meiner Freizeit mit meinen Followern über die sozialen Medien.

Doch sosehr es mich freut, dass ich meinen Kunden etwas Neues zu ihrem Arzneimittel erzählen konnte, so sehr verwundert es mich auch, dass sie diese Information erst von mir erhalten haben. Und das, obwohl sie ihr Arzneimittel schon so lange einnehmen, dass sie eigentlich keine Beratung mehr brauchen sollten.

Warum wurden sie in all den Jahren nicht schon früher über Risiken, Nebenwirkungen und die richtige Anwendung aufgeklärt? Arzneimittel können – falsch eingenommen oder dosiert – ziemlich gefährlich sein. Deshalb gibt es die Beratungspflicht für uns Apotheker. Und daran sollten wir uns auch halten und motiviert sein, unsere Kunden bestmöglich zu beraten. Zumindest müssen wir aber anbieten, den Kunden zu seinen Arzneimitteln zu beraten.

Ich selbst habe in einigen Apotheken Rezepte eingelöst oder mal eine Packung Ibuprofen gekauft. Oft war ich über die dortige Betreuung enttäuscht. Manche Kollegen legen das Arzneimittel einfach auf den HV-Tisch und sagen nur, wie viel man zu bezahlen hat. Das ist nicht o.k. Als ich damals frisch von der Uni kam und mein praktisches Jahr in einer kleinen Apotheke ableistete, wurde mir gesagt, die Motivation vergehe mit der Zeit. Das sei nur nach dem Studium so, dass man ständig beraten wolle. Man stumpfe mit der Zeit ab. Ich sehe das allerdings immer noch nicht so.

Zwar möchte nicht jeder Kunde eine Beratung und natürlich kann man nicht zu jedem Thema perfekt informieren. Aber man könnte immer kurz recherchieren oder an den Arzt verweisen, wenn die Beratung die eigenen Kompetenzen überschreitet. Nicht alles zu wissen ist völlig normal. Man lernt vieles mit der Zeit, aber man vergisst auch einiges wieder. Das passiert vor allem dann, wenn etwas nie in der Beratung thematisiert wird. Das Pharmaziestudium bereitet einen zwar mehr oder weniger auf die Arbeit in der Apotheke vor, doch der Beruf erfordert ein lebenslanges Lernen. Wer dazu nicht bereit ist, hat möglicherweise das falsche Studium gewählt.

Außerdem müssen wir uns klarmachen, dass wir keine studierten Verkäufer sind. Daher müssen wir dem Kunden auch mal von einem Arzneimittel oder Produkt abraten, wenn er sich damit keinen Gefallen tut, sei es aus gesundheitlichen oder aus finanziellen Gründen. Leider hat vieles, was wir täglich in der Apotheke verkaufen, keine nachgewiesene Wirkung. Als ich mich als #DerApotheker bei Twitter angemeldet hatte, war genau dies meine Intension: Aufklärung über die Homöopathie und über andere Pseudo-Medizin zu leisten. Ich setze mich dafür ein, dass unser Beruf ernst genommen und respektiert wird.

Um das zu erreichen, müssen wir kritisch hinterfragen, ob wir unseren Kunden Placebos anbieten wollen. Es ist für mich unverständlich, wie sich jemand nach einem derart wissenschaftlichen Studium wie wir es während der Pharmazie durchlaufen mussten, ernsthaft in die Apotheke stellen und als Lösung des Problems Zuckerkügelchen anbieten kann. Wie sollen wir respektiert werden, wenn wir die Wissenschaft ignorieren? Als Kunde möchte man nicht zu Hause feststellen, dass einem vom Fachmann seines Vertrauens etwas verkauft wurde, dessen Wirkung nachweislich nicht von einem Placebo zu unterscheiden ist. Oft wird mir von solchen Fällen bei Twitter berichtet.

Sie wissen, dass das homöopathisch ist, und keine nachgewiesene Wirkung hat?

#DerApotheker

Auch wenn das für uns ein entgangener Gewinn ist, so sind mir Ehrlichkeit und das Ansehen meines Berufes wichtiger. Diese Kunden werden wiederkommen, weil sie die Ehrlichkeit zu schätzen wissen. Letztendlich zahlt sich das aus. Meine Social-Media-Präsenz hat mich zu einem besseren Apotheker gemacht. Die Leute stellen mir viele Fragen und einige davon kann ich nicht ohne Weiteres beantworten. Dann recherchiere ich und lerne etwas Neues dazu. Das Gleiche gilt für meine Artikel, die ich schreibe. Für einen Beitrag über Ibuprofen musste ich viel recherchieren. Dabei habe ich vieles gelernt. Ich habe dabei versucht, die meisten Fragen meiner Follower zu beantworten. Der Beitrag wurde ungefähr eine halbe Million Mal gelesen. Gefühlt habe ich genauso viele Nachrichten bekommen: manche mit Lob, manche mit Kritik. Wenn ich in der Apotheke stehe, habe ich bei jedem Beratungsgespräch den Gedanken im Hinterkopf, ob das nicht vielleicht auch für meine Follower interessant wäre. Was für den einen selbstverständlich ist, kann für den anderen eine neue, interessante Information sein.

Das hat mir noch nie jemand gesagt.

Kunde in der Apotheke

Meine Kunden und Kollegen wissen nichts von meiner geheimen Identität und das sollen sie auch nicht, denn dann müsste ich mich online massiv zensieren. Außerdem ist es ein gutes Gefühl, wenn dir jemand einen Tweet oder einen Artikel zeigt, den er gut findet, aber nicht weiß, dass du ihn selbst geschrieben hast.

#derApotheker

#derApotheker möchte anonym bleiben. Unter seinem Hashtag ist er auf Twitter, Publikum.net, Instagram und Facebook zu finden. Außerdem veröffentlicht er regelmäßig eine Kolumne auf DAZ.online.