Illustration: Wessinger und Peng

Pharmazie im Schnelldurchlauf

Genügt die Zeit im Studium für Begeisterung?

Warum studiert ihr eigentlich Pharmazie? Macht euch das, was ihr lernt, Spaß? Die UniDAZ wollte wissen, wie es mit der Leidenschaft für die Pharmazie aussieht. Dazu haben wir mit Marian und Liesa von der Freien Universität Berlin gesprochen. Ein Beitrag darüber, was begeistert, ob wir uns diese Zeit leisten können und was im Online-Semester fehlt.

Definitionsgemäß ist Bildung, wenn persönliches Wissen und das Weltbild eines Menschen mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Ein Teil von Bildung ist, sich für bestimmte Themen begeistern zu können, sich selbstständig immer wieder neue Fragen zu stellen und neugierig zu bleiben. Universitäten spielen in unserer Gesellschaft eine besondere Rolle: Sie sollten nicht allein Institutionen des Wissens sein, sondern zugleich zum Reflektieren und Hinterfragen anregen. Eine Gesellschaft, die sich diese Selbstreflexion nicht mehr leistet, ist für den berühmten Soziologen Hartmut Rosa dem Untergang geweiht. Das Problem: Wie die belgischen Bildungswissenschaftler Jan Masschelein und Marteen Simons behaupten, sind auch die Universitäten nicht vom Homo oeconomicus, dem unternehmerischen Selbst, befreit. Studierende sollen sich selbst managen und ihre Ressourcen effektiv einsetzen. Sie sollen ihre eigenen Bedürfnisse evaluieren und ihre Investitionen nach „Qualität“ bemessen.

Begeisterung für eine Disziplin zu entwickeln und diese zu hinterfragen sind Punkte, die uns das Studium lehren sollte. Dafür braucht es den richtigen Begegnungsraum und die Stimulation zum freien Denken. Gleichzeitig kostet das viel Zeit, die wir im Studium oft nicht haben. Gerade das Pharmaziestudium wird immer voller und Studierende haben kaum Gelegenheit, über Klausurrelevantes hinauszublicken. Dazu scheint das, was wir lernen, nicht unbedingt die Kernthematik vieler Pharmazeut:innen widerzuspiegeln. Die UniDAZ hat mit Marian aus dem 8. Semester und mit Liesa aus dem 5. Semester von der Freien Universität in Berlin gesprochen, um zu erfahren, was sie in ihrem Studium begeistert und welche Strukturen an den Universitäten eine Leidenschaft für die Pharmazie entfachen – oder ersticken können.

UniDAZ: Warum studiert ihr Pharmazie?

Marian: Ich fand spannend, dass etwas Abstraktes wie ein Molekül zu einem greifbaren Effekt im Organismus führt. Zunächst habe ich drei Semester Chemie studiert, aber gemerkt, dass mich die Wirkung auf den Menschen mehr interessiert.

Liesa: Ich wollte etwas Naturwissenschaftliches mit praktischem Bezug studieren. Einmal stand ich in der Apotheke und fragte mich: Was macht das eigentlich, wenn ich eine Paracetamol schlucke?

UniDAZ: Habt ihr die Begeisterung, mit der ihr begonnen habt, Pharmazie zu studieren, immer noch?

Liesa: Im vierten Semester hatten wir mit Toxikologie und Physiologie zum ersten Mal Fächer mit pharmazeutischem Bezug und ahnten, wo es hingeht. Jetzt, nach den ersten paar Tagen im Hauptstudium, habe ich das Gefühl, erstmals wirklich Pharmazie zu studieren. Dabei kommt etwas von der Begeisterung zurück, die ich während der Vorbereitung zum ersten Staatsexamen verloren habe.

UniDAZ: Das Grundstudium hat euch nicht sehr begeistert?

Liesa: Die Laborpraktika schon. Etwas zu synthetisieren, hat mich gepackt – da hab ich stolz Fotos geknipst. In der Theorie fehlten aber oft Zeit und Raum, um mich für die Inhalte zu begeistern. Erst mal denkst du an die Deadline und Klausuren. Ich finde immer noch cool, was ich studiere. Und wenn es nicht gerade ein Online-Semester gibt, halten sich Praxis und die Theorie in etwa die Waage.

Marian: Unser Studium hat spannende Themen, aber wie ich finde, ist der Schwerpunkt falsch gelegt. Obwohl ich aus dem Chemiestudium kam, habe ich das Gefühl, dass die Pharmazie ihre Gewichtung viel zu stark in der Chemie hat. Ich glaube nicht, dass unsere Kernkompetenz darin besteht, dreizeilige IUPAC-Bezeichnungen in Strukturen zu übersetzen.
Die meisten von uns arbeiten später in Bereichen, wo sie vor allem Themen aus der Klinischen Pharmazie und der Pharmakologie brauchen. Trotzdem haben wir in Deutschland an vielen Standorten noch keine eigenständige Klinische Pharmazie, andere Länder wie England oder Australien sind viel weiter. Mann, die Grundidee der Pharmazie ist einfach klasse, aber an manchen Punkten falsch umgesetzt und durch das Staatsexamen sehr reformträge.

Liesa: Klinische Pharmazie und Pharmakologie hatte ich bisher noch nicht. Die ganzen Fächer wie Quantitative Analytik, Organische Chemie oder Instrumentelle Analytik habe ich in der Hoffnung bestanden, dass es irgendwann einmal Sinn machen wird, die Inhalte zu beherrschen.

Marian: Ein Stück weit ist das tatsächlich so.

UniDAZ: Was denkt ihr über die Apotheken?

Marian: Die Apotheke spielt weniger eine Rolle, weil sich die Dozierenden meist für den Weg in die Forschung entschieden. So wie bisher geht es in der Apotheke nicht weiter, sie muss sich anpassen. Mich schreckt ab, in einen etablierten Apotheken-Alltag zu geraten, in dem kein Raum für die nötigen Reformationen ist.

Liesa: In der ersten Famulatur erstmals den Apothekenalltag kennenzulernen war desillusionierend. Da dachte ich: Vier Wochen reichen erst mal. Im Studium fühlt es sich nicht so an, als würde ich Apothekerin werden. Ich lerne unheimlich viel Detailwissen, aber sehe nicht die Verbindungen zum Beruf. Eine gewagte These wäre, dass wir am Ende überqualifiziert sind.

Marian: In manchen Punkten sind wir überqualifiziert, aber für das Wesentliche haben wir im Studium nicht genug Zeit. Im Bewerbungsgespräch für das PJ sagte mir die Apothekerin, dass ich in der Apotheke alles von Neuem lernen werde. Natürlich haben wir die Grundlagen, aber der Klinischen Pharmazie, die wir bräuchten, wird nicht genug Zeit eingeräumt.

UniDAZ: Denkt ihr in eurer Freizeit oft über pharmazienahe Fragen nach, die nicht wichtig für eure Prüfungen sind?

Marian: Jetzt, wo ich mich für das zweite Staatsexamen vorbereite, lese ich schon mehr aus Interesse. Davor kam das zu kurz, weil du immer unter Strom stehst. Unser Studium ist sehr eng gepackt. Ich bin dafür, alles etwas zu entzerren, über ein bis zwei Semester mehr. Dann hätten wir mehr Zeit, zur ursprünglichen Faszination zurückzukehren.

Liesa: Gerade im Grundstudium prügeln wir die Inhalte durch und orientieren uns daran, was Professoren fragen. Da ist keine Zeit, noch mal detailliert nachzulesen. Was nicht relevant ist, lässt du hinten runterfallen.

UniDAZ: Seid ihr jetzt gestresster als zu Beginn eures Studiums?

Liesa: Generell kann ich mittlerweile mit Stress besser umgehen als im ersten Semester. Früher wäre mir ein achtstündiger Lerntag unverhältnismäßig vorgekommen – jetzt ist das Standard. Außerdem habe ich gelernt zu priorisieren, was wichtig ist und was nicht.

Marian: Zum Beispiel: Muss ich wirklich in die Vorlesung gehen?

Liesa: Richtig!

UniDAZ: Habt ihr in euren Seminaren viele Diskussionen?

Marian: Viele meiner Freunde studieren Geisteswissenschaften. Sie treffen sich in der Freizeit und debattieren zu Themen, die sie gerade lernen. Viele stellen sich so ein Studium vor. Bei uns wird nicht viel debattiert. Vielleicht liegt das unter anderem daran, dass wir ein sehr verschultes System haben. Teilweise ist regelrecht von „Unterricht“ die Rede. Ich behaupte, dass allein dieser Begriff das freie Denken einschränkt.

Liesa: Wir haben kein Studium, in dem es um Meinungen geht, sondern um Fakten. Pharmazeutisch-politische Themen finden aber eher im Rahmen der Fachschaft Raum zur Diskussion und weniger im Privaten. Manchmal kam es in meinem Semester vor, dass meine Kommilitonen den Dozenten mit ein bis zwei feschen Fragen aus der Reserve locken konnten.

UniDAZ: Seid ihr in der Regelstudienzeit?

Liesa: Ja, bin ich. Zu Beginn dachte ich, dass ich ins Ausland gehen werde. Aber dann fühlte ich mich plötzlich unter Zugzwang, am Ball zu bleiben und weiterzumachen. Das ist schade, andererseits habe ich mich dazu entschieden, mich hetzen zu lassen.

Marian: Ich auch. Wir haben in unserem Semester familiäre Strukturen, die wir nicht riskieren wollen. Einerseits schade, weil wenige Pharmaziestudierende ein Auslandssemester machen und wenig vom klischeehaften Studienleben haben. Andererseits geben die festen Strukturen Halt. In größeren Studiengängen, wo du dich vollkommen selbst organisierst, würden sich manche leichter verlieren.

UniDAZ: Ist die Begeisterung beim Online-Studium noch schwerer zu finden als sonst?

Liesa: Die Begeisterung ist getrübt, da du allein vor dem Laptop sitzt. Das Pharmaziestudium ist unheimlich sozial, manches verstehst du nicht sofort, ohne dich auszutauschen. Viele Fragen fallen unter den Tisch, weil die Hemmschwelle, über WebEx eine Frage zu stellen, größer als bei einer Präsenzveranstaltung ist.
Das Studium hätte mich zu Beginn nicht so sehr gepackt, wenn es online stattgefunden hätte. Mir hat das Online-Semester gezeigt, wie unheimlich wichtig die Gruppe ist – ich weiß nicht, ob ich ohne diesen sozialen Zusammenhalt dabeigeblieben wäre.

Marian: Die Qualität der Lehre kommt mit den Medien, die uns zur Verfügung stehen, schon an früher ran. Aber der soziale Kontakt fehlt. Über Themen aus dem Studium mit Freunden oder Dozenten nach der Vorlesung zu sprechen, fällt auf diese Weise weg. In einer Umfrage, die wir über die Fachschaft gestartet haben, haben 72 Prozent der Studierenden gesagt, dass sie bei Online-Vorlesungen Fragen am liebsten über den Chat stellen wollen. Das finde ich schade, weil es der unpersönlichste Weg ist. Ein WebEx-Meeting kommt dem „echten“ Dialog noch am nächsten.
Die Dozenten sollten den Raum nach der Online-Vorlesung offen lassen und anregen, dass die Studierenden die Kameras anschalten und Fragen stellen. So könnten sie den Austausch persönlicher gestalten. Obwohl ich zu Hause gut lernen kann, habe ich nicht das Gefühl, dass durch den entspannten Ablauf allein die Reflexion angeregt wird. Reflexion lebt vom Austausch mit anderen. Das fehlt gerade, daher glaube ich, dass man sich im Online-Semester weniger mit dem Studium auseinandersetzt.

Marius Penzel, Berlin

Marius Penzel studierte Pharmazie in Leipzig. Nach dem Praktischen Jahr absolvierte er ein Volontariat bei der Deutschen Apotheker Zeitung. Heute arbeitet er als freier Wissenschaftsjournalist in Berlin.