Haben, um zu sein?

Das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) wird schon lange diskutiert. Durch die Corona-Pandemie und dem damit einhergehenden Arbeitsplatzverlust in manchen Branchen hat es das BGE wieder in die öffentliche Diskussion geschafft. Fakt ist: kein Land hat es bisher gewagt, diesen finanzpolitischen Schritt zu gehen. Was sind die Vor- und Nachteile einer monatlichen bedingungslosen Auszahlung an alle Bürger:innen? Und vor allem: was ist das BGE eigentlich?

Was ist das bedingungslose Grundeinkommen (BGE)?

Bei einem BGE würde jede:r Einwohner:in monatlich einen festen Betrag ausgezahlt bekommen- unabhängig vom Alter und ohne Nachweis der Bedürftigkeit. Wie hoch diese Geldauszahlung genau sein soll, hängt im Wesentlichen von der Finanzierung ab, auf die wir gleich eingehen. Beträge zwischen 500 Euro und 1500 Euro werden diskutiert. Das BGE soll ein menschenwürdiges Dasein und soziokulturelle Teilhabe für alle Mitglieder der Gesellschaft ermöglichen. Arbeitslosengeld, Kindergeld und andere Leistungen des Sozialstaates  fallen weg. Das soll das Steuersystem vereinfachen und Bürokratie abbauen. Ein selbstbestimmtes Dasein, das nicht mehr von der Lohnarbeit bestimmt wird und dadurch zu mehr persönlicher Zufriedenheit und gesellschaftlichem Zusammenhalt führt, wird als erstrebenswertes Ziel der BGE Befürworter genannt. Kritiker hingegen befürchten den Zerfall des Sozialstaates und einen Finanzkollaps, der die gesellschaftliche Spaltung rasant vorantreibt.

Wie soll es finanziert werden?

Eine Konsumsteuer, die 50% betragen soll, die heutige Mehrwertsteuer (7% beziehungsweise 19%) ersetzen. Kranken- und Unfallversicherung sollen entweder durch staatliche Gutscheine abgesichert werden oder eine Grundversicherungspflicht erhöht das BGE bei Bedarf entsprechend. Außerdem soll das BGE-unabhängige Einkommen versteuert werden, womit gut Verdienende mehr zur Bezahlung beitragen würden.
Weniger Stress und verbessertes Wohlbefinden sind das Resultat, das Befürworter erwarten. Das würde zu mehr sozialem Zusammenhalt und weniger Hass und Hetze führen. Kritiker des BGE sehen dieses eher als „Schweigegeld“. Anstatt Arbeitsplätze zu sichern und den Sozialstaat auszubauen, sollen die Menschen mit einer monatlichen Auszahlung ruhiggestellt werden. Fällt identitätsstiftende Arbeit weg, würden die Menschen unzufrieden und aggressiv. Demotivation der jungen Generation, überhaupt noch einer Erwerbsarbeit nachzugehen oder eine entsprechende Ausbildung zu absolvieren, würde das ganze System schließlich zum Kollabieren bringen.
Ein weiteres Pro-Argument ist die durch die digitale Revolution ausgelöste sozioökonomische Krise, die für die Zukunft befürchtet wird: Durch maschinelles Lernen und andere Algorithmen werden massenhaft Arbeitsplätze wegfallen, sodass es gar nicht genug Arbeit für alle Menschen geben wird. Das BGE könnte die sozialen Auswirkungen dieser Entwicklung abfedern. Andererseits wird durch den Fachkräftemangel, der z. B. auch Apotheker betrifft, jede:r Arbeitnemhmer:in gebraucht. Das BGE könnte den Mangel an Arbeitskräften in bestimmten Bereichen noch verschärfen, da generell weniger Arbeitswillige zur Verfügung stünden.

Was heißt das alles jetzt?

Puuh, ziemlich viele Konjunktive und vage Zukunftsvorhersagen. Die Pro- und Kontra-Seite des BGE besteht hauptsächlich aus denselben Themen, nur eben jeweils invers, andersherum gedacht. Die einen sehen es als finanzierbar an, die anderen rechnen dagegen. Gerechtere Löhne erhoffen sich die Befürworter, Ausbeutung erwarten die Kritiker. Es scheint eher eine Frage der generellen Lebensvorstellung und persönlichen Wahrnehmung zu sein, auf welcher Seite eine Person in dieser Diskussion steht, als auf Fakten zu basieren. A propos Fakten, wie sieht es eigentlich mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zum BGE aus?

Führt Grundeinkommen zur Inflation?

Wenn alle Bürger:innen ein Grundeinkommen erhalten, also mehr Geld zur Verfügung haben, dann wird Geld ‚entwertet‘; Preise steigen, es kommt zur Inflation. Dieser Gedankengang ist sofort nachvollziehbar. Doch stimmt das auch? Zu Inflation kommt es, wenn die Geldmenge zunimmt bzw. weniger Güter und Dienstleistungen angeboten werden, als nachgefragt wird. Das BGE führt zur Erhöhung von Preisen, da die Menschen mehr Geld haben, aber nicht mehr Güter angeboten werden. Aus dem BGE resultiert aber nicht die Erhöhung der absoluten Geldmenge. Das Geld wird durch die hohe Konsumsteuer und die wegfallenden Sozialleistungen innerhalb des Systems anders verteilt. Ein anderes Problem ist jedoch, dass sich durch die hohe Konsumsteuer Preise erhöhen, wodurch das BGE zur Lebenserhaltung ebenfalls steigen muss. Da das BGE steuerlich finanziert wird, müsste wiederum die Konsumsteuer ansteigen, was wieder zu einer Erhöhung des BGE führen müsste, und so weiter; die Preis-Lohn-Spirale wäre in Gang gesetzt. In der theoretischen Überlegung über die praktische Umsetzung eines Grundeinkommens ist diese ökonomische Krise ein großer rechnerische Streitpunkt zwischen Kritiker:innen und Befürworter:innen.

Welche Studien gibt es zum Thema BGE?

Groß angelegte Langzeitstudien, um die psychologischen, sozialen und finanziellen Auswirkungen eines BGE evaluieren zu können, am besten mit der Bevölkerung in einem ganzen Land, gibt es keine. In Finnland wurde 2000 Arbeitslosen zwischen 2018 und 2020 bedingungslos 560 Euro monatlich ausbezahlt. Das entspricht der dort üblichen Sozialsicherung. Das subjektive Wohlbefinden konnte zwar gesteigert werden, aber die von den Forschenden erhoffte Erhöhung der erwerblichen Arbeit im Vergleich zu arbeitslosen Personen ohne Grundeinkommen blieb aus.
Aufgrund mangelnder Daten kann keine Aussage getroffen werden, wie das BGE auf die menschliche Psyche, auf unser Arbeitsverhalten und unser Konsumverhalten und schließlich auf die ökonomische Situation, wirkt. Es scheint als müssten Kritiker und Befürworter weiterhin mit Argumenten aufwarten, die keine oder nur eine geringe Faktenbasis besitzen.

Zum Schluss eine Frage, die passenderweise jede:r nur für sich beantworten kann: um mehr individuelle Selbstbestimmung zu erreichen, braucht es da wirklich ein BGE?

Literatur

Raddatz G. Das bedingungslose Grundeinkommen- ein Luftschloss Zeitthemen 02. 2019 Stiftung Marktwirtschaft, www.stiftung-marktwirtschaft.de/fileadmin/user_upload/Zeitthemen/ZT_02_Grundeinkommen_2019.pdf

Rinke K. Grundeinkommen- Finanzierungskonzepte und Modellversuche. CC BY-SA 4.0 Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de/themen/arbeit/arbeitsmarktpolitik/316925/grundeinkommen-finanzierungskonzepte-und-modellversuche/

Was ist das bedingungslose Grundeinkommen? Mein Grundeinkommen gemeinnütziger Verein, www.mein-grundeinkommen.de/erkenntnisse/was-ist-es?active=neid

Deppe K. Grundeinkommen für alle. SWR 2018, www.planet-wissen.de/gesellschaft/wirtschaft/geld/grundeinkommen-fuer-alle-100.html

Köhler R. Was ändern 1200 Euro pro Monat? ARD 2020, www.tagesschau.de/inland/grundeinkommen-studie-101.html

Bedingungsloses Grundeinkommen Gutachten 02/2021. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Finanzen September 2021, www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/Ministerium/Wissenschaftlicher-Beirat/Gutachten/bedingungsloses-grundeinkommen.pdf?__blob=publicationFile&

Juliane Russ

Juliane Russ hat an der Universität Hohenheim Ernährungswissenschaften studiert. Mit dem Master in der Tasche fing sie im April 2022 ein Volontariat bei der Deutschen Apotheker Zeitung an.