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Eyes Wide Shut

Warum studieren ohne Nachtruhe fruchtlos bleibt

Die Nacht durchfeiern und morgens trotzdem zur Uni gehen? Mit Anfang 20 kein Problem, da steckt man solche Eskapaden leicht weg. Ein starker Kaffee hilft über die schlimmste Müdigkeit hinweg. Immer mehr Studierende greifen auch zu anderen legalen oder illegalen Wachmachern, um ihrer Konzentration auf die Sprünge zu helfen. Doch wie wirken sich Schlafmangel und erzwungene Wachheit auf den Lernerfolg in der Uni aus?

Manche Menschen brauchen neun Stunden Schlaf, andere fühlen sich bereits nach sechs Stunden gut erholt. Im Mittel verbringen wir etwa ein Drittel unserer Lebenszeit im Schlaf. Nicht nur bei der Schlafdauer, sondern auch bei der optimalen Schlafenszeit unterscheiden wir uns. Menschen, die von Natur aus früh zu Bett gehen und früh aufstehen, werden als „Lerchen“ bezeichnet. In einer Gesellschaft, in der Unterricht und viele Jobs früh-morgens beginnen, scheinen sie im Vorteil gegenüber den „Eulen“ zu sein, die natürlicherweise spät zu Bett gehen und spät aufstehen. Das Gehirn braucht die Ruhepause, um Gelerntes und Erlebtes zu verarbeiten. Außerdem wird während des Schlafs im Gehirn aufgeräumt, nicht verwertbare metabolische Abfallprodukte werden abtransportiert. Unter anderem braucht der Körper die Erholung, um zelluläre Reparaturprozesse in Gang zu setzen, zur Thermoregulation und für ein funktionierendes Immunsystem.

Schlaf unterteilt sich in mehrere Phasen, von denen jede eine wichtige Rolle für die Erholung von Körper und Geist spielt. Zunächst sinken wir über eine Leichtschlafphase immer tiefer bis in die Tiefschlafphase, in welcher Blutdruck und Atemfrequenz reduziert sind und der Schlafende kaum zu wecken ist. Auf den Tiefschlaf folgt eine leichtere Schlafphase, die REM-Phase (Rapid Eye Movement). Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass wir unsere Augen hektisch hin und her bewegen. In dieser Phase verbringen wir rund 25 Prozent unserer Schlafzeit und träumen besonders intensiv. Die Muskulatur ist völlig entspannt. Mit dem Alter nimmt die Dauer der REM-Phasen ab.

Jede Nacht wiederholen sich die Schlafphasen mehrfach. Die erste REM-Phase ist nur kurz, die erste Tiefschlafphase dafür besonders lang. Gegen Ende der Nacht kehrt sich dieses Verhältnis um. Forscher haben festgestellt, dass Menschen mit verkürzten REM-Phasen ein erhöhtes Risiko haben, an kardiovaskulären Erkrankungen zu versterben. Menschen, die unter chronischem Schlafmangel leiden, haben oft erhöhte Blutzuckerspiegel und erhöhte Konzentrationen von Entzündungsmarkern im Blut. Ihr Risiko für Übergewicht, Diabetes Typ 2 und kardiovaskuläre Erkrankungen ist dadurch gesteigert. Chronischer Schlafmangel kann außerdem zu Depressionen führen. Schichtarbeit, die mit unregelmäßigen Schlafenszeiten in Verbindung steht, wird von der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) sogar als wahrscheinlich krebserregend für den Menschen eingestuft.

Nahezu jede psychoaktive Substanz hat das Potenzial, das Schlafgleichgewicht durcheinanderzubringen.
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Gesunder Schlaf ist wichtig für ein gutes deklaratives Gedächtnis, also das Fakten-Gedächtnis. Während wir schlafen, festigen sich zuvor erlernte Informationen. Studien haben gezeigt, dass dies besonders gut gelingt, wenn das Gehirn kurz nach dem Lernen zur Ruhe kommt. Je mehr Zeit wir also zwischen Lernen und Schlafen mit anderen Dingen verbringen, desto schlechter können wir uns am nächsten Tag an Details erinnern. Für das deklarative Gedächtnis sind die nächtlichen Tiefschlafphasen und die REM-Phasen von entscheidender Bedeutung. Wer unter akutem Schlafmangel leidet, neigt verstärkt dazu, Falschinformationen abzuspeichern. Außerdem treten Konzentrationsstörungen auf und Reaktionszeiten verlängern sich.

Lernen auf Wachmachern

Der Leistungsdruck in Teilen der Gesellschaft ist enorm. Immer mehr Studierende greifen zu konzentrationsfördernden und wach machenden Substanzen, um ihre Leistung im Studium zu steigern. Einige dieser Stoffe sind legal und verhältnismäßig harmlos, andere sind illegal und können ernste Nebenwirkungen hervorrufen. Eine Befragung unter französischen Medizin- und Pharmakologie-Student:innen aus dem Jahr 2014 ergab, dass gut 67 Prozent der Befragten in den vorangegangenen zwölf Monaten Mittel zur kognitiven Leistungssteigerung eingenommen hatten, 8,6 Prozent davon nutzten illegale Substanzen. Eine Befragung von Studierenden der Uni Lübeck kam zu dem Ergebnis, dass 30 Prozent der Teilnehmer im Laufe ihres Lebens mindestens ein Mal leistungssteigernde Substanzen probiert hatten und 8 Prozent dies regelmäßig taten. Die gängigsten Substanzen, die sich zum Hirndoping eignen, sollen hier kurz vorgestellt werden.

Coffein

Fast jeder Erwachsene konsumiert es, sei es als Kaffee, Tee, Energydrink oder in Form von Tabletten. Koffein macht wach, steigert die Aufmerksamkeit und erleichtert das Lernen, indem es Adenosinrezeptoren im Gehirn blockiert. Der sedierende Neuromodulator Adenosin kann dann nicht mehr wirken. Je nach Zubereitungsart enthält eine Tasse Kaffee zwischen 60 und 230 mg Coffein. Die Wirkung tritt bereits nach einigen Minuten ein, die Wirkdauer ist individuell sehr verschieden. Im Mittel beträgt die Halbwertszeit bei Erwachsenen zwischen 2,5 und 4,5 Stunden. Extrem hohe Dosen Coffein können zwar unangenehme Nebenwirkungen haben und im schlimmsten Fall zum Tode führen, chronischer Konsum hat jedoch keine langfristigen gesundheitlichen Schäden zur Folge.

Methylphenidat

Unter einigen Studierenden ist auch die Einnahme von Ritalin® mit dem Wirkstoff Methylphenidat beliebt. Das Medikament unterliegt dem Betäubungsmittelgesetz und wird eigentlich zur Behandlung von ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) verschrieben. Es wirkt stimulierend und antriebssteigernd, indem es die Wiederaufnahme von Dopamin und Noradrenalin aus dem synaptischen Spalt hemmt. Die Konzentration der Neurotransmitter bleibt also für die Dauer der Wirkung erhöht. Die Halbwertszeit von Methylphenidat beträgt etwa 2,5 Stunden bei Kindern und rund 3,5 Stunden bei Erwachsenen. Durch entsprechende pharma­zeutische Formulierungen kann die Halbwertszeit aber verlängert werden.

Amphetamin

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Strukturell ist Amphetamin mit Methylphenidat verwandt und wird daher ebenso zur Klasse der sogenannten Weckamine gezählt. Die Wirkmechanismen beider Substanzen ähneln sich. Amphetamin verursacht jedoch zusätzlich die Ausschüttung von Dopamin und Noradrenalin in den synaptischen Spalt. Wenn Methylphenidat keine ausreichende Wirkung gegen ADHS-Symptome zeigt, kann Amphetamin als Fertigpräparat oder Rezepturarzneimittel verschrieben werden. Auch Amphet-amin unterliegt dem Betäubungsmittelgesetz und wird oft unter Namen wie Speed oder Pep als Partydroge konsumiert. Prinzipiell eignet sich die Droge, um Wachheit und Konzentration während einer Lernphase zu steigern. Nebenwirkungen wie erhöhter Blutdruck, Tremor oder sogar Herzrhythmusstörungen sollten jedoch nicht unterschätzt werden. Personen unter Amphetamin-Einfluss neigen außerdem dazu, ihre eigene Leistung zu überschätzen. Bei hohen Überdosen kann es zu psychotischen Zuständen, Krämpfen und Herzinfarkt kommen. Amphetamin hat eine Halbwertszeit von 9 bis 14 Stunden.

Modafinil

Modafinil (Vigil®) zählt ebenfalls zu den stimulierenden Substanzen, die die Konzentration von Dopamin und Noradrenalin erhöhen und dadurch Wachheit und Aufmerksamkeit steigern. Darüber hinaus greift Modafinil in weitere Neurotransmitter-Systeme ein, sein genauer Wirkmechanismus auf den menschlichen Organismus ist noch nicht vollständig geklärt. Das Medikament, das zur Behandlung von Narkolepsie eingesetzt werden kann, unterscheidet sich strukturell von Amphetamin und Methylphenidat. Es wurde in mehreren klinischen Studien als möglicher Neuroenhancer zur Steigerung der kognitiven Leitung von ausgeschlafenen Probanden getestet. Während in einigen Studien Leistungssteigerungen nach Anwendung von Modafinil festgestellt wurden, blieben diese Effekte in anderen Studien aus.

Andere

Zahlreiche weitere Stoffe steigern die Wachheit, Konzentration und den Antrieb oder mildern Prüfungsängste. Kokain wirkt stimulierend und antriebssteigernd. Mit einem Preis von rund 80 Euro pro Gramm und einem hohen Suchtpotenzial dürfte es durchschnittlichen Studierenden aber weniger geeignet erscheinen. Betablocker (z. B. Metoprolol) werden hin und wieder eingesetzt, um Stress und Prüfungsängste zu dämpfen. Antidementiva (z. B. Piracetam) sollen die kognitive Leistung steigern bzw. die Ermüdbarkeit verringern. Ein Phänomen, das im amerikanischen Silicon Valley seinen Ursprung hat, ist das Microdosing. Dabei werden niedrige Dosen von Psychedelika wie LSD oder Psilocybin konsumiert. In geringen Dosen sollen diese Drogen nicht psychedelisch oder gar halluzinogen, sondern wach machend und konzentrationsfördernd wirken.

Den meisten psychostimulierenden Substanzen ist eines gemein: Sie bringen ein gewisses Abhängigkeitspotenzial mit sich. Das gilt für Ritalin, Amphetamin und selbst für Koffein. Manche Menschen scheinen zu nichts zu gebrauchen zu sein, bevor sie morgens ihren ersten Kaffee getrunken haben. Entzugserscheinungen wie Kopfschmerzen, Müdigkeit und Konzentrationsstörungen können auftreten. Darüber hinaus bildet sich bei regelmäßigem Konsum von Wachmachern eine Toleranz gegenüber ihren Effekten aus. Um dieselbe Wirkung zu erzielen, müssen immer höhere Dosen eingenommen werden. Der Konsum von Stimulanzien beeinträchtigt außerdem die Schlafqualität und verkürzt die Schlafdauer.

Schlafhygiene

„Wer sich nachts zu lange mit den Problemen von morgen beschäftigt, ist am nächsten Tag zu müde, sie zu lösen“, sagte der Schriftsteller Rainer Haak. Nicht nur eine durchfeierte Nacht hat negativen Einfluss auf die Konzentration. Auch wer die Nacht vor der Prüfung durchlernt, verschlechtert seine Aussichten auf Erfolg. Kurzfristig lassen sich Wachheit und Aufmerksamkeit zwar auch mit chemischen Hilfsmittelchen herstellen. Langfristig ist das aber keine Lösung. Der Körper braucht nicht nur eine ausreichende Menge Schlaf, der Schlaf muss auch das richtige Verhältnis von Tiefschlaf- und REM-Phasen haben, um gelernte Informationen vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis zu übertragen und zu festigen. Die Leistung eines gesunden und ausgeschlafenen Gehirns lässt sich nicht steigern. Statt auf Wachmacher zu setzen, kann die Schlafqualität mit der Befolgung einiger einfacher Ratschläge verbessert werden.

Das Gehirn festigt gelernte Informationen am besten, wenn der Abstand zwischen Lernen und Schlafen möglichst kurz ist.
Foto: Nils Müller

Das Smartphone oder der Fernseher sollten in den Abendstunden besser ausgeschaltet bleiben. Psychologische Studien an Studierenden belegen, dass die exzessive Nutzung des Smartphones Depressionen und Anspannung fördert und die Schlafqualität reduziert. Stattdessen lohnt es sich, mit einem Buch oder Notizen aus der Uni zu Bett zu gehen. Das Gehirn festigt gelernte Informationen am besten, wenn der Abstand zwischen Lernen und Schlafen möglichst kurz ist.

Auch die Schlafzimmertemperatur beeinflusst unsere Schlafqualität. Besonders die REM-Phase scheint davon betroffen zu sein. Ist es zu warm oder zu kalt, muss sich das Gehirn mit der Thermoregulation des Körpers beschäftigen und hat weniger freie Kapazitäten, um zu träumen. Außerdem schläft es sich in einer dunklen, stillen Umgebung am besten.

Prüfungsangst und Klausurstress können einem den Schlaf rauben. Wer sich im Angesicht einer Klausur gestresst fühlt, kann vor dem Schlafen etwas Yoga machen oder meditieren. Auch regelmäßiger Sport fördert den Schlaf. Dabei sollte man es allerdings nicht übertreiben. Wer sich abends bis zur Erschöpfung auspowert, muss mit einer gegenteiligen Wirkung rechnen.

Der Konsum jeder Form von Stimulanzien in kurzem zeitlichem Abstand zur Schlafenszeit sollte vermieden werden. Dazu zählen nicht nur Amphetamin, Ritalin und Koffein, auch Nikotin und Alkohol beeinträchtigen den Schlaf. Nahezu jede psychoaktive Substanz hat das Potenzial, das Schlafgleichgewicht durcheinanderzubringen.

Ulrich Schreiber

Ulrich Schreiber ist Toxikologe und freier Journalist. Er studierte Chemie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und erwarb seinen Master of Science für Toxikologie an der Charité Berlin.